Auch im nunmehr zweiten Winter lässt uns das Corona Virus nicht in Frieden leben. Quasi im Stundenrhythmus berichten die Medien über alte und neuere Erkenntnisse auf der Suche nach dem möglichst
richtigen Umgang mit dieser schwierigen Lage. Zunehmend steht die Frage der „Spaltung der Gesellschaft“ in „Geimpft“ und „Nicht geimpft“ im
Mittelpunkt vieler Gespräche. Über der Diskussion schwebt das Damoklesschwert einer Impfpflicht einzelner Gruppen oder gar aller.
Bei genauer Beobachtung fällt auf, dass diese gesellschaftliche Spaltung nicht vor uns, sondern längst hinter uns liegt. Alleine die Dynamik der Geschwindigkeit gewinnt an Fahrt. Die Werte und
moralischen Vorstellungen unserer Gesellschaft haben sich massiv verändert. Die beiden gesellschaftlichen Gruppen der Spaltung heißen „Gewinner“ und „Verlierer“ wobei naturgemäß alle zu den Gewinnern gehören wollen. Die Definition dessen, was den Gewinn ausmacht, fällt uns aber zunehmend schwerer. Ist es ein
Gewinn, wenn der Arbeitsplatz im Wettbewerb behauptet wurde oder wenn ein Vermögen trotz Inflation wächst, weil es clever an der Börse angelegt wurde? Ist persönliches Glück eine
Beschreibung von gestern, die wir heute leider nicht ausreichend faktisch unterlegen können? Sind deshalb der Friede im Herzen, ein Leben in Gemeinschaft oder schlicht gute Freundschaft
Auslaufmodelle, vielleicht weil diese das Gewinnen schwerer machen?
Keine Frage, das Virus hat uns an unserer verletzlichsten Stelle getroffen. Zum Menschsein gehört Nähe und Austausch. Die Umarmung eines geliebten Menschen ist unverzichtbar und alternativlos.
Unsere einzigen Waffen gegen das Virus sind aktuell Abstand halten, Kontaktbeschränkung und Impfung und das zum zweiten Mal hintereinander, pünktlich zum Weihnachtsfest.
Die Gewinner der heutigen Zeit müssen ein erhebliches Maß an Egoismus aufweisen. Es geschieht aber leider sehr schnell, dass ein gesunder Egoismus, bei dem Menschen sich gut um sich selbst kümmern und auf eigene Bedürfnisse achten, sich negativ verändert in eine Form des ungesunden Egoismus.
Ungesunder Egoismus nutzt andere zum eigenen Vorteil aus oder versucht, Mitmenschen den eigenen Willen aufzuzwingen. Persönliche Ziele oder Wünsche werden dann rücksichtslos verfolgt, Menschen
werden manipuliert, systematisch fehlinformiert und vor den eigenen Karren gespannt. Sehr starker Egoismus wählt den Weg über Gewalt unter Hinweis auf das Ellbogenprinzip.
Schon kleine Kinder hören außerhalb vom Sportplatz den Satz: „Da musst du dich mal richtig durchsetzen“. Später müssen Abitur und Studium mit Bestnoten bestanden werden, um alle Chancen zu
wahren. Den jungen Menschen bleibt keine Zeit zum Nachdenken oder zur Selbstreflektion. Ist Philosophie nicht eine brotlose Kunst? Wozu ein Theologie-Studium; Priester werden nicht mehr
gebraucht, sind schlecht bezahlt und weltfremd. Das „Duale Studium“ gewinnt alle Vergleiche, denn man erreicht die Abschlüsse paralell zum guten Gehalt und danach ist die Anstellung gesichert.
Über Glück, Freude am Leben oder Berufung wird dabei kaum gesprochen. Manche Studiengänge brauchen einfach mehr Zeit und Konzentration, ohne Beeinflussung und Ablenkung durch Dritte. Wir alle
haben dazu beigetragen, die Gesellschaft zu spalten, der eine mehr, der andere weniger. Und immer wird es auch Verlierer geben, nur der Umgang mit Ihnen muss sich wieder verändern.
Bleiben wir bitte achtsam. Der „ungesunde Egoismus“ hat Geschwister. Diese tragen die Namen „Grenzenlosigkeit“ und „Gleichgültigkeit“. Wenn wir den ungesunden Egoismus tolerieren, wird sich
niemand mehr finden, der erkennen und definieren kann, wann etwas gut genug ist und diese Grenze auch benennen können - unsere weltweiten Ressourcen sind nicht grenzenlos. Wenn wir schweigend der
Gewalt gegenüber Schwächeren zusehen, machen wir uns mitschuldig an der Verrohung unserer Gesellschaft in allen Facetten. Diese „Gleichgültigkeit“ führt schließlich dazu, dass es schlichtweg
völlig egal wird, wie es anderen Menschen ergeht und was diese fühlen, solange es uns persönlich gut geht.
Nennen wir die Dinge beim Namen. Bleiben wir Mensch, klar, offen und konsequent in unserer Kommunikation, auch wenn dies unbequem wird. Mein Herzenswunsch zum Fest ist, dass unsere
Achtsamkeit steigt und wir alle viele friedliche und gute Momente erleben können. Mögen wir zur Ruhe kommen und zur eigenen Reflektion. Dann wird auch unsere Kommunikation menschlicher und
damit spürbar besser werden. Welch ein Fest der Gefühle wäre es, wenn aus dem „Impfzwang“ über Weihnachten das „Impfgeschenk“ für alle wird. Vielleicht schaffen wir es, die eigentlichen Motive
der Querdenker und Schwurbler zu enttarnen. Wie oft sind Enttäuschung über sich selbst und andere, Unverständnis über den schnellen Wandel, mangelnde Stressresistenz oder eine hohe
Verletzlichkeit die wahren Gründe dieser Bewegung.
Helfen wir alle mit, dieses Unverständnis aufzuklären und so den Knoten zu lösen, der uns blockiert.
Bleiben Sie gesund!
Norbert Wupperfeld
Es gibt keine größere Kraft als die Kraft der Liebe. Sie überwindet den Hass wie das Licht die Finsternis.
Martin Luther King